12 Sek-Klassen präsentieren in Dübendorf Kunst und Literatur

David Eugster über das STEO-Projekt Zeitreise Zürich in der NZZ vom 12.06.2015

 12 Sek-Klassen präsentieren in Dübendorf Kunst und Literatur
Foto Joëlle Kost

Am Freitagnachmittag wird der Hangar des Air Force Center in Dübendorf von einem kleinen Sturm heimgesucht. Grund dafür ist die Abschlussveranstaltung des Projekts «Zeitreise Zürich»: 200 Schüler und Schülerinnen aus allen zwölf Bezirken Zürichs haben daran seit letztem Jahr mit vierzig Historikern, Autoren und Gestaltern und Lehrpersonen gearbeitet.

Organisiert haben die «Zeitreise» Heller Enterprises und die Provinz GmbH. Letztere besteht aus Richard Reich und Gerda Wurzenberger, die in Zürich im städtischen Auftrag gerade das Jugendliteraturlabor Jull aufbauen. Die beiden schreiben seit 2005 Geschichten zusammen mit Sekundarschülern der unteren Leistungskategorie: Schulhausromane. Sie konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man gerade mit Schülern, deren Schulzeit von Misserfolgen geprägt war, mehrheitlich Körperarbeit machte. Dem wollten sie etwas entgegensetzen und die Kreativkräfte gerade im schulisch vorbelasteten Schreiben entfesseln. Um die Hemmschwellen zu senken, arbeiteten sie mit Tonbändern, liessen Dialekt zu. Manchmal schrie die ganze Klasse Vorschläge durch das Zimmer, während einer vorne am Hellraumprojektor notierte.

Ein Riesenprojekt «Zeitreise Zürich», ermöglicht durch Gelder der Steo-Stiftung, ist die Weiterentwicklung dieser Idee. Der Ablauf war für jede der insgesamt zwölf Klassen gleich: Zunächst erarbeiteten Historiker mit ihnen Themen der Geschichte des eigenen Wohnorts. Danach verfassten sie, inspiriert davon, literarische Geschichten. Einige blieben nahe am historischen Plot, andere entfernten sich schnell: Aus den Protesten gegen den Bau der A 4 in den 1980er Jahren wurde bei einer Urdorfer Klasse beispielsweise ein blutiger Kampf zwischen Terroristen, noblen Kämpfern, Umweltschützern und Vampiren im Jahr 2014.

Der dritte Teil der «Zeitreise» war auf künstlerische Gestaltung fokussiert. Eine schillernde Palette von Arbeiten ist auch hier entstanden: ein Wandbild, Kurzfilme, ein Fotoroman, Comics aus Papierschnitten, um nur einige zu nennen. Man sieht den Werken an, mit welchem Künstler sie erarbeitet worden sind, doch sie tragen deutlich die Handschrift der Schüler. Der Künstler Markus Weiss entwickelte mit einer Klasse Brettspiele, die in ihrer Ästhetik irgendwo zwischen Werken von Fischli/Weiss und Computerspiel-Landschaften liegen. Viel Arbeit sei nötig gewesen, die Schüler dahin zu bringen, sich Gestaltung überhaupt zuzutrauen, sagt er. Anhand von Kunstwerken habe er ihnen eine Welt zu zeigen versucht, in der Adjektive «keine wertende Funktion» mehr hätten und Gestaltungsfreiheit herrsche.

Die Quellen wegphantasiert Das Wort «Chaos» taucht im Gespräch mit den Organisatoren regelmässig auf, wenn sie das Projekt beschreiben – und das ist durchaus positiv gemeint: Es ging laut Wurzenberger nicht darum, den Schülern «richtiges» Schreiben oder Gestalten beizubringen, sondern Jugendlichen, deren Schulerfahrungen zumeist negativ waren, Mut zur eigenen Kreativität zu geben. So fungierten die mitarbeitenden Autoren weniger als Lektoren, sondern als «Text-DJ», die das von den Klassen produzierte Material kompilierten, ohne es zu begradigen. Für die Historiker, gewöhnt an akademische Akkuratesse, sei das Projekt vielleicht am schwierigsten gewesen, sagt Reich: Einigen von ihnen sei das bereitgestellte Quellen-Material regelrecht wegphantasiert worden.

In Text und Bild habe sich gezeigt, dass das popkulturelle Referenzsystem der Jugendlichen immens sei, hält Wurzenberger fest. Doch es decke sich nicht mit dem schulischen Wissen. Gerade die Freiheit des Vorgehens der «Zeitreise» erlaubte auch Schulmuffeln, Texte und Kunstwerke von ausgeprägter Kraft zu produzieren. Das Resultat ist in einem Schuber mit zwölf aufwendig gestalteten Büchlein zu bewundern – und in der eintägigen Ausstellung in Dübendorf.

Ausstellung und Schlussfest «Zeitreise Zürich», Air Force Center Dübendorf, 12. Juni, 14–20 Uhr.