Von zwitschernden Magneten und gewitternden Stühlen

Artikel in "Zürich West - Quartierzeitung für Aussersihl", 15.01.2015

Von zwitschernden Magneten und gewitternden Stühlen

Schulkinder aus Aussersihl und Zürcher Seniorinnen und Senioren suchen in der Musikwerkstatt «Piccolo Concerto Grosso» ihr gemeinsames kreatives Potenzial. Das soziokulturelle Projekt wird gekrönt von einem Konzertauftritt zusammen mit Profimusikern in der Tonhalle.

Im Singsaal des Schulhauses Hohl sitzen 24 Kinder und etwa halb so viele Seniorinnen und Senioren in einem grossen Kreis rund um Philipp Bartels. Der Musiktheaterregisseur erklärt mit viel Mimik und Gestik die Einsätze für den Kanon «Bruder Jakob» in sechs Sprachen. Am Klavier hält sich Simone Keller bereit für ihren Einsatz. Und obwohl es Freitagnachmittag ist, die Fünftklässler das Wochenende ersehnen und bereits etliche Probestunden hinter sich haben, sind sie bemerkenswert konzentriert.

Zusammen haben Jung und Alt in ihren jeweiligen Kanongruppen die Texte – kurdisch, schwedisch, italienisch, spanisch, portugiesisch und tamilisch – gelernt. Ein Sprachenquerschnitt durch diese fünfte Klasse, in der 15 Nationen vertreten sind und der Migrationsanteil bei rund 95 Prozent liegt. Nun wird das Gelernte gesanglich umgesetzt. Einzelne Vorträge klingen noch etwas unsicher. «Gut artikulieren!», mahnt Bartels. Der erste sechssprachige Durchgang hört sich dann aber ziemlich gut an, die deutsche Version, zum Abschluss aus allen 35 Kehlen geschmettert, klingt sogar richtig überzeugend.

Singen und zwitschern

Den Musikproben ging ein gegenseitiges Kennenlernen in den Gruppen voraus. Die Erwachsenen heissen Hans, Ruth, Manfred oder Ursula, die Kinder Hashim, Thanustan, Arzu oder Thowsika. Da galt es zuerst einmal, Namen zu lernen. Dann interviewten jeweils zwei Kinder einen Senior oder eine Seniorin über deren Leben und die Beweggründe für das Mitmachen in der Musikwerkstatt. Die Antworten wurden aufgeschrieben und mit den zugehörigen Gruppenfotos hinten an die Wand im Singsaal gehängt. Die Senioren machen bei dem Projekt alle aus ähnlichen Gründen mit: weil sie Kinder mögen, gerne singen und musizieren, oder einfach aus Freude an der Begegnung. Sie finde diese Vielfalt von Leben und den Austausch mit den Kindern sehr faszinierend und inspirierend, ergänzt später eine der Frauen. «Wir sind ein Team» – dies zu erfahren, das sei einfach grossartig. Um Teamarbeit geht es auch beim Einsatz der «Zwitschermagnete». Dabei handelt es sich um kleine ovale Magnete, die – mit etwas übung zwischen den Fingern bewegt oder in die Luft geworfen – erstaunliche Klänge erzeugen. Die Geräuschinstrumente faszinieren offensichtlich alle Werkstattteilnehmer: Kaum sind sie verteilt, zwitschert, zirpt, schnattert, klappert, klickt und klackert es drauflos. Manchmal klinge es auch wie «sirrende Telegrafenmaste», findet ein Junge einen weiteren treffenden Vergleich. Dann lenkt Philipp Bartels das erste begeisterte Draufloszwitschern, bei dem manche Magnete noch ungewollt auf den Boden knallen, in geordnetere Bahnen. Und bald klingt es im Singsaal wie frühmorgens auf einer Wiese am Waldrand, wo allerhand Tiere und Tierchen erwachen und anfangen, sich miteinander zu unterhalten, bis aus den Einzelstimmen schliesslich ein grosser fröhlicher Chor wird.

Die beiden Werkstattleiter sind sehr zufrieden mit dem Verlauf der Probe. Richtige Begeisterung macht sich breit, als es bei der letzten Gesangsübung darum geht, von einem «Bruder Jakob» in Dur zu einem «Frère Jacques» in Moll und wieder zurück zu switchen. Die gesanglich anspruchsvollen Wechsel gelingen überraschend mühelos. «Ein Superchor! Eine Riesenleistung!», ruft Philipp Bartels in die Runde, bevor er zum Abschluss die frisch gedruckten Konzertflyer verteilt.

«Zum Heulen schön»

Insgesamt zehn Tage lang sind die Werkstatt-Beteiligten am Proben, zum Teil mit den sechs Profimusikerinnen und -musikern, die das Projekt begleiten. «Die Kinder sind in der Schule einem steten Leistungsdruck ausgesetzt. Uns ist sehr wichtig, sie etwas von diesem Druck zu befreien», sagt Co-Projektleiterin Simone Keller. Zu beobachten, wie die Kinder nach und nach vom Kompetitiven wegkommen, das sei schon toll.

«Sie lernen, dass nicht immer gleich alles richtig oder falsch ist. Sie lernen, links und rechts zu schauen, etwas gemeinsam zu machen, ein gemeinsames Ziel zu haben.» Philipp Bartels ergänzt: «Wir beugen uns aber nie zu den Kindern runter. Wir profitieren selber enorm von ihnen.»

Es sei doch einfach «zum Heulen schön, wie 24 Kinder aus 15 Nationen zusammen singen und harmonieren». Und Wolfgang Beuschel, ein Schauspieler, der den beiden Projektleitern als «oeil extérieur» zur Seite steht, findet auch viel Lob für die Seniorinnen und Senioren: Dass 80-jährige «sich in Lerngruppen begeben und für einen Kanon Tamilisch lernen» das sei doch wirklich sehr bemerkenswert, lacht er. In der Tonhalle wird aber nicht nur gesungen und mit Magneten gezwitschert. Das Publikum werde auch, so schmunzelt Simone Keller, in den Genuss eines «Stuhlgewitters» kommen – einer Raum-Klang-Komposition mit Holzstühlen. Ergänzend sind – passend zum übergeordneten Thema «Gross und Klein» – Arrangements von Auszügen aus Mahlers «Titan», Dessaus «kleinster Nachttopfmusik» und Rossinis «Gewittermusik» vorgesehen – vom Ensemble gespielt auf grossen und kleinen Instrumenten.

 
Autorin: Lisa Maire. Der obenstehende Artikel wurde am 15.01.2015 in "Zürich West" veröffentlicht.